Der Tod einer starken Frau – ein Grund zum Feiern?

 

Wie unter anderem 20 Minuten berichtet, wurden an verschiedenen Orten in Grossbritannien bereits kurz nach Margaret Thatchers Tod spontane öffentliche “Death Parties” gefeiert. Kinobeschriftungen wurden umgetextet, Champagnerkorken knallten, Leute sangen “Ding Dong The Witch Is Dead” aus The Wizard of Oz und tanzten in den Strassen.

Das gab es noch nie in der vermeintlich zivilisierten westlichen Welt: Unzufriedene und Oppositionelle, grösstenteils sogar zu jung, um sich wirklich an die Thatcher-Ära zu erinnern, tanzen sprichwörtlich auf ihrem Grab. Pietät- und respektloser geht es kaum. Wie kommt man also auf den Gedanken, es trotzdem zu tun? Ganz einfach: Margaret Thatcher war eine Frau, die es wagte, sich nicht so zu verhalten, wie Gesellschaft und Geschlechterrolle es von ihr erwarteten. Sie hatte eine Haltung, sie hatte eine Stimme, und sie hatte Macht. Anscheinend reicht das, um bei gewissen Menschen primitive Handlungen auszulösen. Arme Angela Merkel, arme Condoleezza Rice, arme Elisabeth Kopp – was kommt posthum noch alles auf diese starken Frauen zu?

Die Auswirkungen von Thatchers Politik auf die Durchschnittsbevölkerung waren in vielerlei Hinsicht katastrophal. Davon konnte ich mich während meines Studiums in Leeds selbst überzeugen. Allerdings ist in einer Demokratie nie eine einzige Person für die Misere eines ganzen Landes verantwortlich. Dazu wären gewisse wirtschaftliche Massnahmen wohl von jedem anderen Tory ebenfalls umgesetzt worden.

Es geht jedenfalls massiv gegen mein Gerechtigkeitsempfinden, dass ausgerechnet die erste Frau, die in der alten Welt trotz enormer Widerstände die Regierungsverantwortung übernahm, auch nach ihrem Tod hauptsächlich diffamiert wird. Man schiesst immer noch auf ihre Person, anstatt die Ideen zu kritisieren, die sie verkörperte – und die im Übrigen noch heute vertreten werden, wenn auch unterdessen wieder von hauptsächlich männlichen Exponenten mit weitaus weniger Format.

Man könnte stattdessen Thatchers Durchsetzungsvermögen, ihre unbestreitbare Schlagfertigkeit und Intelligenz sowie ihre Unermüdlichkeit und Konsequenz würdigen. Man könnte respektieren, dass sie sich wie jeder andere Politiker für ihre Überzeugungen eingesetzt hat. Man könnte hervorheben, dass sie in einer Männerwelt ihre Frau stand. Sie war eine Feministin der ersten Stunde, ohne es sein zu wollen. Niemand erklärt sich nachträglich mit Thatchers Handlungen einverstanden, indem er ihre Qualitäten anerkennt.

Eigentlich sollte jeder denkende Mensch fähig zur Differenzierung zwischen politischer Ideologie und handelnder Person sein – insbesondere jetzt, da die Betroffene nicht einmal mehr lebt. Aber halt, das geht natürlich nicht. Denn ihr als Frau kann der gesellschaftliche Mainstream nicht verzeihen, dass sie Macht erlangt und ausgeübt hat – und zwar nicht als pazifistische, fürsorgliche Muttergöttin und Umverteilerin, sondern als knallharte Wirtschaftsliberale. Für ihr ebenbürtige Männer wurden und werden Denkmäler errichtet – ihr als Frau gönnt man nicht einmal die Totenruhe.

Auch die heftigen Diskussionen um die Modalitäten ihres Begräbnisses sprechen Bände. Soviel zur Stellung der Frau in Grossbritannien und Europa im April 2013.

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